Rasse Hunde Zucht – Buchrezension von Inga Theedt
Genetik für Züchter und Halter von Dr. Irene Sommerfeld-Stur
Unsere Hunde beziehen eine immer größere Stellung in unserer Gesellschaft. Wir beschäftigen uns intensiv mit der Erziehung, der Auslastung, der Ernährung und dem Verhalten unserer vierbeinigen Freunde. Muss man denn jetzt auch noch alles über Genetik wissen?
Nein, muss man natürlich nicht, ABER man kann. Und als Zuchtverantwortlicher sollte man sogar.
Genetik, ein spannender Wissenschaftszweig
Frau Prof. Dr. med. vet. Sommerfeld-Stur entführt uns mit ihrem Buch „Rasse – Hunde – Zucht“, erschienen 2016 im Müller Rüschlikon Verlag, in die spannende Welt der Genetik und Epigenetik. Dabei ist es ihr Wunsch, den Lesern zu zeigen, dass Genetik keine trockene „Papierwissenschaft“ ist, sondern ein lebendiger und spannender Wissenschaftszweig, der in allen Bereichen der Mensch-Hund-Beziehung eine wichtige Rolle spielt.
Ich habe Frau Dr. Irene Sommerfeld-Stur im letzten Jahr auf einem Candog–Seminar erleben dürfen und freue mich sehr darauf, ihr geballtes Wissen in einem Buch nachlesen zu können. Das Buch ist optisch ansprechend und macht neugierig auf den Inhalt. Der Aufbau der einzelnen Kapitel und Unterkapitel ist gut strukturiert und eignet sich ideal zum Nachschlagen. Fotos und Tabellen helfen, den Text zu veranschaulichen. Am Ende des Buches befindet sich ein Glossar, welches alle relevanten Fachbegriffe erklärt.
Wie kam der Mensch auf den Hund? Was machte ihn zahm und wie entstanden die ersten Rassen?
Diese Fragen werden im ersten Teil des Buches anschaulich mit verschiedenen Hypothesen namenhafter Forscher erläutert und lassen erahnen, welch lange, genetische Geschichte unsere Haushunde bereits hinter sich haben. Die Autorin geht zudem auf die Rahmenbedingungen der Hundezucht und die unterschiedlichen Zuchtverbände ein, die zum Teil auch auf Einzelinitiativen privater Züchter zurückgehen. Die Schönheitsstandards, nach denen auf Ausstellungen beurteilt wird, werden ebenso kritisch beäugt wie die Rolle der Hundekäufer und die Problematik der sogenannten Modehunde. Der Leser erhält einen Einblick in die komplexen Grundlagen der Hundezucht und ein Verständnis dafür, warum es so schwer ist, einen guten Hundezüchter zu finden.
Bevor es ans Eingemachte geht, erklärt die Autorin mit Hilfe von Grafiken und in verständlicher Sprache die genetischen Grundlagen. Auch der Klassiker, die Mendelschen Regeln, werden anschaulich dargestellt. Zudem erfährt der Leser, wie das Zusammenspiel der Gene funktioniert und wie sich die Epigenetik mit den Möglichkeiten der Aktivitätsänderung von Genen befasst, was für das weitere Verständnis beim Lesen des Buches sehr hilfreich ist. Auch auf die Molekulargenetik und ihre Einsatzbereiche geht die Autorin ein und wagt einen Ausblick in die Zukunft. Dabei setzt sie auf die Möglichkeit, genetische Defekte effizient zu bekämpfen.
Phänotypische Veränderungen – Schönheit liegt im Auge des Betrachters
Im weiteren Verlauf des Buches wird die Genetik des Körperbaus und des Fells unter die Lupe genommen. Wie sich diese unterschiedlichen Varianten ergeben und welche Tücken einige Züchtungen aufweisen, wird einleuchtend erklärt. Macht man sich die Vielfalt der Rassen bewusst, fällt es schwer zu glauben, dass der Ursprung unserer Haushunde ausschliesslich vom Wolf herrührt und erneut komme ich nicht drum herum, über Sinn oder Unsinn einiger Züchtungen nachzudenken.
Wieviel Verhalten der Hunde ist auf Genetik zurückzuführen?
Ob bestimmte Rassemerkmale genetisch bedingt sind oder inwieweit Gene mit entscheiden, ob ein Hund einen Menschen beißt oder freundlich begrüßt, wird im siebten Kapitel erläutert. Dabei wird klar, dass jeder Hund eine Vielzahl von Genen mit sich trägt, die Auswirkungen auf sein Verhalten haben, auch wenn ein großer Teil von der Umwelt beeinflusst wird. Anhand klassischer Beispiele erhält man viele „Aha-Momente“ und interessante Vergleiche. Ausführlich wird auf eine Gruppe von Neurotransmittern und Hormonen eingegangen, die einen direkten Einfluss auf das Verhalten unserer Haushunde haben. Ein unglaublich spannendes und vielschichtiges Thema, welches durch interessante Studien untermalt wird und dabei auch gezielt die sogenannten „gefährlichen“ Rassen mit einbezieht.
Wie wichtig ist die genetische Vielfalt für unsere Hunde?
In diesem v.a. für Züchter sehr spannenden Kapitel geht es um Populationsgenetik und die Auswirkungen, die es auf eine Population haben kann, wenn ein Defekt-Gen verbreitet oder umgekehrt durch Zuchtausschluss ein oder mehrere Gene der Population verloren gehen. Neben der Ermittlung von Genfrequenzen und der diagnostischen Merkmalsbeurteilung geht die Autorin auch auf Erbfehler ein und in wie weit bei der Verpaarung, die Sympathie der Hunde untereinander eine Rolle spielt. Zu guter Letzt bekommt der Leser einen Einblick in das traurige und leider immer noch sehr aktuelle Kapitel der Qualzucht.
Für wen ist dieses Buch geeignet?
Eigentlich für jeden der mit Hunden zu tun hat, sich für Hunde interessiert und mehr wissen möchte über unsere Haushunde. Das Thema Genetik und Epigenetik ist ein unglaublich spannendes Feld, und wer mal über den Tellerrand hinausschauen will, für den wird dieses Buch eine Bereicherung sein. Für Züchter, Zuchtrichter und Zuchtverbände ist dieses Buch (meine Meinung) ein absolutes MUSS. Es hat das Potential, ein Umdenken zu bewirken.
Fazit:
Frau Dr. Irene Sommerfeld-Stur ist es mit diesem Buch gelungen, die Wissenschaft der Genetik und Epigenetik anschaulich und lebendig zu erklären. Sie hat es geschafft, mir spannende Zusammenhänge verständlich zu erläutern und ein Bewusstsein für die Verantwortung zu schaffen, die wir für unsere Hunde tragen. Diese Verantwortung fängt bereits beim Hundekauf an, denn das Angebot wird durch die Nachfrage bestimmt und endet bei denen, die letztendlich Hunde vermehren, welche in unserer Gesellschaft klar kommen müssen und umgekehrt.
Ich für meinen Teil bin mit diesem Buch um einiges schlauer, aber auch kritischer geworden. Ich würde mir wünschen, dass sich sowohl Hundekäufer als auch Zuchtverantwortliche dieses Buch zu Herzen nehmen. Und ich teile den Wunsch und die Hoffnung der Autorin, irgendwann nur noch gesunde, wesensfeste Hunde in unserer Welt vorzufinden.
Frau Dr. Irene Sommerfeld-Stur: Vielen Dank für dieses Buch!
„Now, I also have a dream“