Flaesheim´s Wald – oder: wie ich mich verliebt habe
Ich habe mich verliebt! Es geschah zwischen den Tagen, kurz vor dem Jahreswechsel zu 2015. Es passierte unverhofft und ich hatte es nicht geplant. Aber ich beginne erst mal am Anfang:
Mein Name ist Birte Drescher, ich bin 28 Jahre alt, arbeite als Tierpsychologin und lebe mit zwei Katzen und wechselnden Pflegehunden in Oberhausen, am Rand des Ruhrgebietes. Freie Tage hat man mit einem Vollzeitjob plus der Selbstständigkeit nur sehr wenige und so muss man sich Inseln der Entspannung schaffen. Erholen kann ich mich nirgendwo besser, als in der Natur. Über Weihnachten und Silvester hatte ich mir einige Tage freigeschaufelt, um mit Alpha, der Hündin meiner Freundin Hanna (die zu der Zeit Skifahren in Georgien war), einige Tage zum Wandern zu nutzen. Jetzt vermag auch der aufmerksame Leser von travel-dogs erahnen, was mein Beitrag hier zu suchen hat. Keine Sorge, ich komme nachher noch zu dem Inhalt der Wanderung. Nur da es hier nicht einfach um eine Wanderung, sondern um eine gefundene Liebe geht, muss ich zunächst auf die Vorgeschichte bestehen.
Lange habe ich überlegt, wo wir denn nun wandern gehen könnten. In der Lüneburger Heide hatte es uns sehr gut gefallen, auch die Eifel wollten wir gerne mal bewandern oder Inga in Norddeutschland mal wieder besuchen. Doch all das war für Tagestouren einfach zu weit, es musste doch irgendetwas hier in der Nähe geben! Einen naturbelassenen Ort, an dem man nicht allzu vielen Menschen begegnen konnte. Ich muss dazu sagen, dass ich direkt am Waldrand lebe. Der Wald ist recht groß, beinhaltet einen schönen sandigen Bachlauf und zwei riesige Seen. Nur besonders an Feiertagen, scheint die halbe Stadt sich zu denken „heute gehen wir mal in den Wald“. Das macht dann wenig Spaß, wenn man Ruhe und Zeit zum Nachdenken sucht. Auch für den Hund ist es schöner, wenn er unangeleint herumrennen kann ohne dass ich ihn ständig ran rufe. Falls sich an dieser Stelle jemand fragen mag, warum ich den Hund im Wald frei laufen lasse, sei kurz gesagt: Alpha hat einen guten Grundgehorsam und sie hat keine Ahnung, was jagen ist. Der Beweis kommt später noch.
Jedenfalls fragte ich bei meinem Stiefvater nach, denn er ist mit seinen über 70 nicht nur passionierter Läufer, sondern auch leidenschaftlicher Wanderer. Er musste doch eine Idee haben, wo man am Rand des Ruhrgebietes wandern könnte. Er drückte mir zwei kleine Wanderführer in die Hand, sie ich auch gleich zu Hause nach passenden Orten durchwühlte. Der Plan war, jeden Tag einen anderen Ort zu begutachten. Ich suchte mir 8 Orte heraus und wollte abends entscheiden, welchen Ort ich am nächsten Tag aufsuchen wollte.
Ich begann direkt bei mir um die Ecke, eine 4 stündige Wanderung (darf man bei 4 Stunden überhaupt schon Wanderung sagen? Ich weiß es nicht, aber da ich mir vorgenommen hatte zu wandern, war das auch eine Wanderung.), deren Teilstrecken ich bereits kannte. Es war nett, denn einige Ecken und Wege waren mir noch unbekannt und es war ein guter Anreiz für zukünftige, ausgedehnte Spaziergänge.
Am darauffolgenden Tag fuhren wir eine halbe Stunde mit dem Auto, um in der Nähe von Wesel eine Route zu testen. Diese sollte durch Wald, über Feld und um einen Baggersee herumführen. Leider hatte ich etwas Probleme, den richtigen Ausgangspunkt zu finden. Auch der eingezeichnete Weg, ließ sich zunächst nicht ausfindig machen. Als es nach zwei Stunden anfing, wie aus Kübeln zu schütten, zielte ich unseren Weg wieder Richtung Auto. Gut, der Weg (wenn man denn den richtigen gefunden hätte), wirkte ganz nett und nicht so überlaufen, doch etwas frustriert war ich auf dem Rückweg dann schon.
Unsympathisch wurde mir der Ort erst, als wir an einer Landstraße langliefen, noch immer im strömenden Regen. Ein kleines Auto kam uns entgegen, ohne Licht! Der Wagen hielt einige Meter vor auf dem Grünstreifen. „Hmm, vielleicht findet derjenige den Weg nicht und will sich bei mir erkundigen?“, dachte ich mir noch. Als der Mann, geschätzt nur wenige Jahre älter als ich, jedoch aus seinem Auto ausstieg und auf mich zu kam, kam mir die Sache doch etwas seltsam vor. Er kam auf uns zu und hielt dabei etwas in der Hand. Zuerst begrüßte er freundlich den Hund (in so einem Fall war es mir nur recht, dass Alpha nach vorne ging). Dann kam er zu mir und streckte mir eine DVD hier „Hier, ich hab ne DVD für dich!“. Etwas irritierte fragte ich „Was denn für eine DVD?“ und versuchte den Titel zu erkennen. Das gelang mir jedoch nicht, ich konnte nur sehen, dass es keine normale Film-DVD war und musste sofort an eine Sekte oder eine ominöse Religion denken. Wieder streckte er sie mir hin „nimm einfach, nur ne DVD“. Langsam wurde mir das zu blöd „Nee danke, ich glaube die brauch ich nicht“. „Hier nimm nur! Ich will sie dir schenken!“, „nein danke!“, „du kannst sie auch weiterverschenken! Nimm sie einfach mit“. Jetzt wurde es mir wirklich zu blöd. Ich bedankte mich noch höflich und ging einfach weiter. Glücklicherweise ging auch er zu seinem Wagen zurück und rief mir noch nach „Schade! Ich wollte dir nur ein Weihnachtsgeschenk machen. Du hättest sie auch weiterverschenken können!“ Ich sollte vielleicht dazu sagen, dass es Heiligabend war! Der Kerl wendete seltsamerweise seinen Wagen, fuhr in die Richtung davon aus der er gekommen war und hupte mir zum Abschied noch zu. Alpha und ich bogen bei strömendem Regen links in den einsamen Schlosspark ab, wenigstens den wollte ich mir noch ansehen. Als mir jedoch bewusst wurde, dass der Kerl in die Richtung gefahren war, in der er mein Auto einsam auf einem Parkplatz finden würde und somit nur logisch kombinieren brauchte, wurde mir nun doch etwas mulmig zu Mute und ich drehte Richtung Parkplatz um. Ich hielt den Kerl zwar eher für einen Sektenanhänger als für einen Serienmörder, aber ein letzter Zweifel blieb. Am Parkplatz angekommen, ließ ich den Hund von der Leine (würde hier irgendjemand lauern, würde Alpha ihn bestimmt finden) und ging auf mein Auto zu. Es war weit und breit niemand zu sehen, erleichtert stieg ich in mein Auto ein. Nun, auch diese „Wanderung“ brachte mehr Frust als Schmetterlinge im Bauch. Auch wenn mir bewusst ist, dass der Ort nichts für diese seltsame Begegnung kann… aber nicht nur Tiere unterliegen hin und wieder Fehlverknüpfungen.
Am Abend setzte ich mich wieder vor die Wanderführer und suchte mir eine Route aus. Diesmal sollte es nach Flaesheim gehen. Von dem Ort hatte ich noch nie etwas gehört, auch er liegt etwa eine halbe Autostunde von mir entfernt. So machten wir uns am nächsten Morgen auf den Weg. Flaesheim liegt bei Haltern am See, die A52 endet hier. Schön gelegen am Wesel-Dattel-Kanal und an der Lippe, umgeben von einem riesigen Waldgebiet. Das jedoch, fiel mir erst im Nachhinein auf der Karte von Google-Maps auf.
Flaesheim begrüßt uns mit blauem Himmel und Sonnenschein über den Feldern und Pferdekoppeln. Mir gefällt es hier sofort, denn mein Faible für Natur, Landleben und abgelegene Bauernhöfe ist unumstößlich. Ich fahre in den kleinen Ort hinein und frage mich noch, wo genau denn wohl der Wanderweg anfangen würde, als ich auch schon ein Schild erblicke, das einen Wanderparkplatz aufzeigt. Ich folge der Pfeilrichtung und finde am Ende der Straße einen großen Parkplatz, inklusive Abenteuerspielplatz direkt am Waldrand. Zu meiner großen Freude, finde ich den Parkplatz leer vor. Ich steige aus, ziehe mir Mütze und Handschuhe an, stecke alles Nötige in meine kleine Umhängetasche, schnalle mir die Leine um (wer weiß, ob wir sie nicht doch brauchen würden) und entlasse Alpha von der Rückbank. Am Waldeingang entdecke ich eine große Tafel, auf der diverse Wanderwege verzeichnet sind. Ich habe etwas Mühe, die Karte aus dem Wanderführer mit der Tafel abzugleichen und entscheide mich eher aus dem Bauch heraus für eine Abzweigung (es sind vier zur Auswahl).
Auf einem breiten Schotterweg begeben wir uns in den Wald hinein. Schon nach wenigen Minuten, kommen wir an eine nächste Abzweigung. Geradeaus verläuft weiterhin der Schotterweg, rechts weist ein Schild eine schwere Walking-Strecke in Richtung eines Feldweges aus. Da ich für gemütliche Spazierwege nicht viel übrig habe, folgen wir dem Feldweg, an dessen Ende wir eine Kreuzung vorfinden. Hier muss ich wieder nicht lange überlegen. Links und rechts schlängeln sich breite Schotterwege am Feld entlang, geradeaus führt ein sandiger Weg recht steil nach oben. Auf geht´s nach oben! Der Weg zieht sich und ich freue mich, denn diese Wanderung würde ich heute Abend sicherlich spüren und so bekomme ich bereits eine Vorfreude, auf dieses wohlige Gefühl der Zufriedenheit.
Oben angekommen, erwartet uns ein schöner Blick über das Waldgebiet. Ich bin erstaunt, wie hügelig es hier ist. Aufgrund des nächsten Hügels, kann ich lediglich in eine Art Tal hinabblicken und kann noch nicht erahnen, wie weitläufig dieser Wald wirklich ist. Ein Stück geht es noch hinauf, dann taucht ein stählerner Feuerwehrturm vor uns auf. Klasse! Von dort oben ist die Aussicht sicherlich noch besser! Glücklicherweise, sind die Stufen durchgängig und alle Seiten so abgeschlossen, dass ich Alpha sorgenlos hinaufschicken kann. Leider ist die Plattform abgeschlossen, aber schon oben auf der Treppe ist der weite grüne Blick umwerfend.
Wieder unten, entscheiden wir uns dafür, weiterhin der Walking-Strecke zu folgen. Als diese wieder in Richtung Parkplatz führt, wechseln wir auf eine leichtere, dafür aber längere Walking-Strecke. Immer wieder kreuzen den Hauptweg Trampelpfade, Jägerwege, sandige Pfade, moosbewachsene Pfade, Reitwege und andere schmale Wege. Die Strecke ist weniger steil als die schwere Walking-Strecke, doch auf und ab geht es auch hier. Durch die gute Ausschilderung, verliere ich auch an Kreuzungen nicht die Orientierung. Besonders erfreuen kann ich mich an den vielen Nadelbäumen und dem moosbewachsenen Boden, denn so etwas gibt es in „meinem“ Wald nur wenig.
An einer Weggabelung bleibt Alpha plötzlich stehen und geht ein paar Schritte in eine andere Richtung. An ihrer Körpersprache sehe ich, dass sie etwas Interessantes entdeckt habe. Ich rufe sie zu mir und als sie kommt, höre ich auch schon Geräusche aus den Büschen. Was auch immer es ist, es bewegt sich schnell, es ist große und es benutzt nicht den Weg! Da sehe ich sie auch schon zwischen den Bäumen auftauchen, 5 Rehe. Ich lasse Alpha sitzen und bedeute ihr, ruhig zu bleiben. Nur anderthalb Meter neben dem Weg, hüpfen die grazilen Wesen an uns vorbei, ehe sie eine Kurve laufen, vor uns einige Meter über den Weg jagen um auf der anderen Seite wieder zwischen den Bäumen zu verschwinden. Ganz verzaubert von dieser nahen Begegnung mit den sonst so scheuen Tieren, vergesse ich ganz, Alpha zeitig für ihr ruhiges Sitzenbleiben zu loben. Dennoch bin ich sehr stolz auf sie und muss Alphas Frauchen gleich ein Foto ihres Hundes mit dieser tollen Nachricht schicken.
Die Walking-Strecke verläuft in einem großen Rundweg wieder zu unserem Ausgangspunkt zurück, dort, wo wir die schwere Strecke verlassen haben. Somit können wir hier wieder der schweren Strecke folgen. Ich freue mich sehr darüber, denn die leichtere Strecke verläuft größtenteils über Hauptwege. Nun folgen wir also wieder schmalen, bewachsenen Pfaden die sich hinauf und hinab über die Hügel schlängeln. An einer Rasthütte für Wanderer machen wir kurz Halt. Alpha bekommt zwischendurch immer wieder Leckerlis für kleine Kommandos die sie ausführt, mir jedoch knurrt inzwischen der Magen und so verdrücke ich gleich zwei Müsliriegel. Die Stille in diesem Wald haut mich ohnehin schon aus den Socken. Ich spüre eine tiefe Dankbarkeit, diesen Ort gefunden zu haben.
Weiter geht es wieder steil bergauf. So langsam spüre ich die steilen Wege in den Beinen, Alpha hingegen läuft umher als wäre dies nur ein Spaziergang um den Block. So soll es ja auch sein, bei einer zweijährigen Hündin. Der Weg wird schmaler, rechts neben uns zieht sich der Hügel weiter hinauf während links neben uns der Boden immer tiefer zu werden scheint und sich zu einem kleinen Tal entwickelt. Auf der Mitte des Weges entdecke ich ein Holzschild, welches diesen Weg als „Hochzeitsallee“ ausschildert. Auch ich kann dieser Strecke etwas Romantisches einräumen. Eine Weile schlängelt sich der Weg noch am „Abhang“ entlang, ehe er steil abfällt und an einem Feld endet. Hinter dem Feld sind es nur noch einige hundert Meter, ehe wir den Parkplatz sichten können.
Wieder zu Hause, legt sich Alpha in den Katzenkorb, während ich meine Beine auf der Couch ausstrecke. Was für ein herrlicher Tag! Entspannt und zufrieden, kuscheln wir uns ein und lassen den Rest des Tages vorüberziehen.
Inzwischen waren Alpha und ich schon mehrere Male in diesem wunderschönen Wald in Flaesheim. Denn ja, ich habe mich in ihn verliebt! Viele Wege haben wir schon ausprobiert, meistens bin ich dabei nur meinem Bauchgefühl gefolgt. Denselben Weg sind wir bisher noch nie gelaufen, dafür gibt es zu viele weitere Wege zu entdecken. Die Stunden voller Ruhe in dieser wunderbaren Natur, geben mir Energie für den stressigen Alltag. Ich kann ich aufatmen, ganz ich selbst sein, nachdenken oder einfach nur die Ruhe genießen. Es wird sicher nicht lange dauern, bis wir wieder dorthin aufbrechen…
Sehr schön geschrieben Birte. Da bekommt man große Lust mitzulaufen. Wenn ich mal in der Nähe bin, werde ich auf jeden Fall nach Flaesheim fahren. Vielleicht ja mit dir und Alpha zusammen? Der Part mit den Rehen hat mich unsere „Reh-Rettungs-Aktion“ in Langeln erinnert 😉
LG und Danke für diesen tollen Bericht
Inga
Pingback: Flaesheim´s Wald – oder: wie ich mich verliebt habe | Animal Minds Blog